Ist Westernreiten einfach?

Im Vergleich mit Englischreiten wirkt Westernreiten auf den ersten Blick um einiges entspannter: Während Englischreiter (natürlich nicht immer, aber so ist jedenfalls das Klischee) in Reitkappe, Sakko, Jodhpurs und blanken Reitstiefeln geschniegelt und hochkonzentriert im Sattel eines meist hoch aufgerichteten Pferdes sitzen, machen beim Westernreiten Dresscode, reiterlicher Sitz, hängende Zügel und Haltung des Reittiers einen eher lockeren Eindruck. Aber heißt das auch, dass Westernreiten einfacher ist als Englischreiten?

Ist Westernreiten einfach?

Der reiterliche Sitz: Was Reitanfängern sofort auffällt

Zunächst einmal: Reitanfänger haben es mit dem Westernreiten wohl tatsächlich etwas einfacher. Da ist zunächst einmal der große, bequeme Westernsattel, in dem es sich schon ein ganzes Stück stabiler und komfortabler sitzt als im Dressursattel. Auch an den reiterlichen Sitz stellt die Westernreiterei deutlich niedrigere Anforderungen: Solange Sie sich halbwegs locker und aufrecht im Sattel halten, ist erst einmal alles gut.

Englischreitern dagegen verlangt die Notwendigkeit, mit Schenkeln und Zügeln permanent in Kontakt mit dem Pferd zu bleiben, einen wesentlich disziplinierteren Sitz ab. Darüber hinaus werden beim Westernreiten alle Gangarten tendenziell ausgesessen, während von Englischreitern abhängig von der Gangart unterschiedliche Sitze erwartet werden. Leichttraben, Entlastungssitz, leichter Sitz – gerade für Anfänger kann das alles ziemlich verwirrend sein. Da ist es doch wirklich gemütlicher, einfach sitzen zu bleiben.

Die reiterliche Hilfengebung: Western vs. Englisch

Auch die Einwirkung auf das Pferd macht beim Westernreiten einen entspannteren Eindruck: Während Englischreiter mit Schenkeln und Zügeln ununterbrochen engsten Kontakt mit ihrem Pferd halten (die sogenannte Anlehnung), geben Westernreiter nur dann kurze Impulse, wenn das Pferd seine Bewegung ändern soll oder es etwas zu korrigieren gibt. Ansonsten bleiben Zügel und Schenkel locker und passiv. Englischreitern wird also eine ganz andere Körperspannung und insgesamt deutlich mehr Aufmerksamkeit und Disziplin abverlangt.

Überdies arbeiten Westernreiter oft auch mit der Sprache – Kussgeräusche zum Anreiten, ein kurzes Whoa zum Anhalten. Das ist für viele Reitanfänger einfacher zu beherrschen als präzise Zügel-, Gewichts- und Schenkelhilfen – diese Art von Körpersprache haben sie schließlich bisher noch nie trainiert.

Letztlich ist alles natürlich auch eine Frage der Gewohnheit. „Eingefleischte“ Westernreiter kommen mit der permanenten Anlehnung zwar oft überhaupt nicht zurecht, guten Englischreitern ist sie aber so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie gar nicht mehr darüber nachdenken müssen.

Die Haltung des Pferdes: Versammlung vs. Vorwärts-abwärts

Idealer Endpunkt der Ausbildung beim englischen Reiten ist die Versammlung: Das Pferd beugt die Hanken, tritt mit den Hinterbeinen deutlich unter den Bauch, wölbt den Rücken und richtet den Kopf auf. Ein Meilenstein auf dem Weg zur Versammlung ist das Vorwärts-abwärts, auch Dehnungshaltung genannt: Hier ist bei gebeugten Hanken und aufgewölbtem, frei schwingendem Rücken der Kopf noch gesenkt.

Die Dehnungshaltung ist beim Westernreiten die normale Reithaltung, das Aufrichten des Kopfes wird vom Pferd nicht verlangt. Man könnte also sagen, dass die englische Ausbildung in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter geht als die Westernausbildung. Dafür muss das Pferd sich beim Westernreiten aber, wie man sagt, „allein tragen“ – das bedeutet, es muss lernen, sich ganz ohne permanente reiterliche Einwirkung korrekt zu halten.

Ist Westernreiten also einfacher als Englischreiten?

Einiges spricht dafür, dass Westernreiten zumindest zu Beginn einfacher zu erlernen ist als Englisch- bzw. Dressurreiten. Aber ... um wirklich gut reiten zu können, müssen Westernreiter letztlich genauso viel wissen und können wie Englischreiter. Ein Pferd, das auf Kommando losläuft und anhält, nach rechts oder links geht, ist noch kein gut gerittenes Pferd. Ein gut gerittenes Pferd hat einen gesunden Körper und ein entspanntes Wesen – und beides liegt ganz wesentlich in der Verantwortung des Reiters.  

Ob englisch oder western – der Reiter muss sicherstellen, dass das Pferd sein Gewicht gleichmäßig auf Vorder- und Hinterbeine verteilt, dass der Rücken nicht durchhängt und, unterstützt von kräftigen Bauchmuskeln, locker schwingen kann, dass das Pferd den Kopf entspannt trägt und zu jedem Zeitpunkt aufnahmewillig für die Hilfen des Reiters ist. Beide Reitweisen gehen lediglich etwas andere Wege, um dieses Ideal zu erreichen.  

Sowohl Western- als auch Englisch- bzw. Dressurreiten kann auf niedrigem, mittlerem und weit fortgeschrittenem Niveau stattfinden. Was dem Dressurreiter seine Piaffen und Passagen, sind der Westernreiterin ihre Sliding Stops und Rollbacks – schwierige Manöver, die nur mit einer Menge Können und Erfahrung zu meistern sind und ein an Magie grenzendes „Gleichschwingen“ von Mensch und Pferd erfordern.

Fazit

Auch wenn Westernreiten am Anfang wohl etwas einfacher ist als Englischreiten – gut Westernreiten und gut Englischreiten dürften wohl ähnlich schwierig sein.

Trotzdem müssen wir – als passionierte Westernreiter – schon sagen: Falls Ihr vorrangiges Ziel ist, mit Ihrem Pferd entspannte Ausritte in der Natur zu unternehmen, vielleicht sogar auf Wanderritte zu gehen, dann sollten Sie der Westernreitweise eine Chance geben. Wenn Sie im Wesentlichen möchten, dass Ihr Pferd Sie entspannt von A nach B trägt und Sie beide das möglichst lange gut durchhalten, sind permanentes Schenkeltreiben und Maulkontakt wie in der englischen Reitweise schon ein bisschen überflüssig. Und wenn nicht alles absolut perfekt läuft – und wann tut es das schon? – kann die dauernde Anlehnung auch mehr Stress für das Pferd bedeuten.

Das heißt nicht, dass es unbedingt einfacher ist, als Westernreiter an den Punkt zu gelangen, an dem sich das Pferd selbst trägt und perfekt durchlässig für Ihre Impulshilfen ist. Aber es heißt, dass Sie und Ihr Pferd, einmal an diesem Punkt angekommen, als Westernreiter im Wesentlichen dasselbe erreichen wie ein Englischreiter, aber mit deutlich weniger Aufwand und Energie.

Sie wollen erst noch weitere Informationen? Dann können Sie folgendes machen: